5.2.1 Schleiflade vs. Kegellade

Unter den recherchierten Instrumenten der Wäldnerschen Werkstatt befindet sich keine Orgel mit Kegelladen. Neben der Schleiflade fand auch kein anderes Windladensystem Anwendung. Die Diskussion im Orgelbau des 19. Jahrhunderts um die Frage des besseren Systems war vielleicht noch nicht für Friedrich Wilhelm, dafür aber umso mehr für August Ferdinand, von relevanter Bedeutung. Da sich beide nicht öffentlich zum modernen Orgelbau äußerten, soll die allgemeine Situation der damaligen Zeit kurz angerissen werden, um eine ungefähre Einordnung der Schleiflade vornehmen zu können.

1844 führte, nach diversen Konstruktionsversuchen, Eberhard Friedrich Walcker seine Kegellade ein.[1] Er selbst äußerte sich dazu folgender Maßen:

 „Mit dieser Art neuen Windladen, wenn sie kunstgerecht ausgeführt werden, sind alle seither beklagten Mängel der Schleifladen beseitigt und es ist somit, weder ein Windstossen, noch Durchstecher, weder ein gemeinsames Nachtönen, noch sonst irgendwelche Windalterationen mehr zu befürchten. Eine viel gleichmässigere Windvertheilung wird besonders dadurch erreicht, dass jede Pfeife ihr eigenes Ventil hat, durch welches derselben ihr Windbedarf, direkt vom Canal aus, sowohl in qualitativer als quantitativer Beziehung genau zugemessen wird. Diese Einrichtung hat aber noch den besonderen Vorzug, dass sich die Windqualität bei jedem Spiel vollkommen gleich bleibt, ob sämtliche auf einer Lade befindlichen Register oder nur eines derselben angezogen und gespielt werden; aus demselben Grunde ist die Intonation der Pfeifen eine zuverlässigere, die Stimmung eine reinere und der Totaleffekt weit frischer und kräftiger und das Traktament für den Spieler viel angenehmer, als bei Schleifladen, weder zähe noch knupicht. Kegelladen haben nicht nur die vorgezeichneten Vorteile, sondern lassen auch ein weit günstigeres Arangement der Pfeifen auf der Windlade zu und haben, wie schon oben bemerkt, in feuchten Lokalen und nordischen Weltgegenden eine grössere Stabilität, als Schleifladen.“[2]

 Schnell zeigte sich aber, dass die Spielart bei großen Werken durch Einsatz von Kegelladen im Gegensatz zu Schleifladen nicht leichter wurde. Daher benutzte Walcker in solchen Fällen ab 1856 den Barkerhebel als Spielhilfe für die Kegellade.[3] Das Argument der leichteren Spielweise durch die neue Windladenart konnte daher nicht mehr gelten. Trotzdem hielt sich das Gerücht.

1877 sah sich Ladegast durch einen Aufsatz von W. Haeseler mit „Bemerkungen über Orgelbau und Orgelspiel“ gezwungen, Stellung zur Frage des besseren Windladensystems zu beziehen.[4] Haeseler zeigt nur die Vorzüge der Kegellade und ausschließlich die Nachteile der Schleiflade auf. Um nicht den ganzen Aufsatz und die Reaktion Ladegasts wiederzugeben, sei an dieser Stelle eine Zusammenfassung durch den Verfasser gegeben. Der Grundgedanke Ladegasts besteht darin, die Vor- und Nachteile der Windladen in erster Linie an der handwerklichen Ausführung festzumachen und nicht die eine oder andere zu verteufeln. Dementsprechend führt er die negativen Eigenschaften der Schleiflade wie z.B. Durchstecher, Heuler, schwergängige Schleifen, schwieriges Registrieren usw. auf die unsachgemäße Ausführung des Baus zurück. Er ist der Auffassung, dass eine akribisch konstruierte Schleiflade ohne die aufgezählten Fehler funktioniert. Im Gegensatz dazu zählt er Beispiele von Orgeln mit Kegellade auf, bei denen die Vorteile der Kegellade wie beispielsweise die leichtere Spielart, Windverteilung und Ansprache der Pfeifen eben nicht auszumachen sind. Außerdem gibt er weitere negative Eigenschaften an wie z.B. stärkeren Windverlust durch die hohe Anzahl von Ventilen, die Brechung des Luftstroms an den Kegeln, die extreme Zunahme von Einzelteilen und der komplizierte Zugang ins Innere der Lade. Mit nachvollziehbaren Argumenten muss sich Ladegast gegen den Vorwurf verteidigen, keine Kegelladen bauen zu können und unnötiges Geld für Schleifladenorgeln zu verschwenden.[5]

Ladegast wägt ab und seine letzten Orgeln beweisen dies: Er verschließt sich nicht der Moderne, aber verteidigt auch nicht ein einziges System einseitig. Weil nun die Wäldner nie wirkliche Großorgeln gebaut haben, war die Frage z.B. nach der angeblich leichteren Spielart nie von Bedeutung. Die Dimensionen ihrer Instrumente erforderten kein Umdenken in dieser Richtung. Da die Ausführung aller Teile der Wäldner-Orgeln immer akribisch war, gab es sicherlich (noch zu Lebzeiten) keine größeren Probleme mit den o.g. Vorwürfen gegenüber der Schleiflade. Realistisch gesehen, bestand für August Ferdinand nicht die Notwendigkeit Kegelladen zu bauen. Inwieweit Bestellung hierfür bei ihm eingingen, kann nicht geklärt werden. Diese hätten letztendlich dazu führen müssen, Kegelladen zu bauen.

Die konstruktiven Eigenschaften der Windladen Friedrich Wilhelms basieren auf den Prinzipien des 18. Jahrhunderts. Sie teilen sich gewöhnlich in c- und cis-Seite und sind meistens auch räumlich getrennt (Abb. 29, S. 15). Die zwei Schleifen pro Register verband er mit einer Kupplung (Abb. 30, S. 15). Diese Konstruktionsweise hatte sicherlich den Vorteil des leichteren Transports, bewerkstelligte aber auch eine höhere Betriebssicherheit, da sich im Falle eines Verzugs der Schleife die Spannung nicht über das ganze Register hinweg zog. Auffällig, im Gegensatz zu August Ferdinand, sind die Windkammerspundbretter, die eingelassen werden, plan abschließen und mit Stemmhölzern verschlossen wurden (Abb. 31, S. 16). Um die Windkammern ohne größere Probleme zu öffnen, befinden sich kleine Schlaufen zum Ziehen daran. August Ferdinand versenkte diese nicht, sondern setzte sie auf (Abb. 32, S. 16). Der Verschluss erfolgte bei den frühen Orgeln ebenfalls mit Stemmhölzern, die aber ab 1873 (Sandersleben) durch praktische Metallhaken ersetzt wurden (Abb. 33, S. 17). Sie lassen sich durch eine einfache Drehbewegung um 90° verstellen und geben das aufgesetzte Brett frei. Falls eine Störung vorlag, war es möglich, ohne Werkzeug die Windlade zu öffnen, was einen sehr praktischen Wert z.B. für Organisten hatte. Schleifladen mit chromatischen Pfeifenreihen fertigte August Ferdinand in einem Stück an (Abb. 34, S. 17). Sie fanden meist in Kleinorgeln Verwendung, die, kombiniert mit der strahlenförmigen Traktur, sehr wenig Platz beanspruchten. Bei dieser Art von Instrumenten wurde die Winderzeugung in das Gehäuse meist unter der Manualwindlade integriert, wodurch an einer Seite lediglich ein Handschwengel (Abb. 35, S. 18) angebracht werden musste (z.B. Brachwitz, Lieskau). Der Tonumfang des Manuals bei Friedrich Wilhelm hatte in den frühen Jahren einen Umfang von C-d³ (auch C-c³; Angersdorf 1841) und im Pedal C-c¹. Das Manual erweiterte er später bis auf f³ (Unterfarnstädt 1843; Reideburg 1847). Nur die Domorgel erhielt einen erweiterten Tonumfang im Pedal auf d¹.

August Ferdinand konstruierte nach der Domorgel das Pedal nur bis c¹; erst ab 1860 (Lettin) erweiterte er auf d¹, ging aber bis 1865 (Niemberg) wieder auf c¹ zurück (1861 Zscherben; 1863 Salzmünde). Nach 1865 variieren die Tonumfänge des Pedals ständig. Die Entscheidung hierfür fiel wahrscheinlich in Abhängigkeit der Größe der Orgel und dem Verwendungszweck sowie der finanziellen Möglichkeiten der Gemeinden. Der Umfang des Manuals blieb bis f³.

Die Winddrücke lagen, nach Angaben vieler Orgelfragebögen 1936/37, bei beiden Orgelbauern immer zwischen 60 und 70 mm WS. Oftmals waren zu dieser Zeit die Instrumente noch nicht mit elektrischen Gebläsen ausgestattet, sodass man von einem relativ originalen Wert ausgehen kann. Die Werte schwanken zwar, aber liegen häufig um die 68 mm WS bei Friedrich Wilhelm und 70 mm WS bei August Ferdinand. Neuere Quellen geben für einige Instrumente einen erhöhten Winddruck infolge der Montage eines Elektromotors an. Sie liegen dann durchaus über 70 mm WS, was zu einer Klangänderung führt. Hier wäre es sinnvoll, die Instrumente auf eine mögliche Minderung des Drucks zu überprüfen, um ihnen die Klangschärfe zu nehmen.

 

[1] Vgl. Moosmann, Ferdinand und Rudi Schäfer: Eberhard Friedrich Walcker (1794-1872). Kleinblittersdorf 1994, S. 29 ff.

[2] Ebd., S. 39 (=Walcker, Eberhard Friedrich: Lebensbeschreibung. Ludwigburg 1974. Abschrift, S. 5.)

[3] Vgl. Moosmann, Kleinblittersdorf 1994, S. 39.

[4] Vgl. Koschel, Friedrichshafen 2004, CD-Rom (=siehe Friedrich Ladegast: „Zur Orgelbaufrage“).

[5] Vgl. ebd.

 

© 2020 | Michael Wünsche

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